Im Rahmen der World-Press-Photo-Ausstellung, die vom 15. Februar bis 16. März 2025 in Oldenburg gastiert, thematisiert die Initiative Lie Detectors den Kampf gegen Fake News und manipulierte Bilder. Im Interview sprechen wir mit Julia Kuttner, freiberufliche Journalistin und Mitglied der Lie Detectors, über ihre Erfahrungen in Workshops, die Gefahren von KI-generierten Inhalten und darüber, wie wir alle Desinformation im Netz besser begegnen können.
Frau Kuttner, was hat Sie dazu motiviert, bei der Initiative Lie Detectors mitzuwirken?
Julia Kuttner: Zum einen macht es mir einfach großen Spaß, den Redaktionsalltag und den Schreibtisch zu verlassen und direkt mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Diese Begegnungen sind unglaublich bereichernd und geben mir oft Impulse und Inspiration für meine Arbeit. Mir ist es wichtig, junge Menschen für die Risiken der digitalen Welt zu sensibilisieren, aber gleichzeitig auch aufzuzeigen, welche großartigen Chancen sie bietet. Oft hört man von Erwachsenen oder Lehrkräften Kritik darüber, wie viel Zeit die Jugend am Handy verbringt. Dabei gibt es im Netz so viele Möglichkeiten, sich sinnvoll zu informieren. Es begeistert mich, Kindern und Jugendlichen dabei zu helfen, sich in diesem digitalen Dschungel besser zurechtzufinden.
Beruflich sehe ich es als Journalistin als meine besondere Verantwortung, die Wahrheit zu berichten. Diese Verantwortung endet nicht bei meiner eigenen Arbeit, sondern umfasst auch die Aufklärung über Falschmeldungen. Ich sehe das als wichtigen Beitrag, um unsere Demokratie zu stärken und das Vertrauen in die Medien zu fördern. Leider erleben wir seit einigen Jahren, wie stark dieses Vertrauen durch Falschmeldungen untergraben wird, was auch dem Ruf von Journalistinnen und Journalisten schadet. Es ist mir ein persönliches Anliegen, für seriösen Journalismus einzustehen und dessen Bedeutung sichtbar zu machen.
Was macht das Programm der Lie Detectors Ihrer Meinung nach so wirkungsvoll?
Julia Kuttner: Es ist wichtig, dass junge Menschen schon in der Schule lernen, kritisch mit Informationen umzugehen, Desinformation zu erkennen und Medien kompetent zu nutzen. Meiner Meinung nach – und auch aus Sicht der Initiative Lie Detectors – wird Medienkompetenz in Schulen noch viel zu wenig unterrichtet. Es wäre dringend notwendig, dieses Thema stärker im Lehrplan zu verankern. Schulen berichten uns immer wieder, dass es viel nachhaltiger ist, wenn Fachleute direkt in die Klassen kommen, um mit den Schülern und Schülerinnen zu sprechen. Das gilt natürlich auch für Journalistinnen und Journalisten.
Wenn ich vor einer Klasse stehe und aus meinem Redaktionsalltag berichte, merken die Schüler und Schülerinnen schnell, dass ich eine reale Journalistin bin, keine abstrakte Figur. Ich erkläre anschaulich, wie meine Arbeit funktioniert, und erzähle auch davon, dass mir Fehler passieren – nicht, weil ich absichtlich etwas falsch mache, sondern weil Fehler menschlich sind. Das ist ein wichtiger Unterschied zu absichtlich verbreiteten Falschinformationen, den ich so direkt vermitteln kann. Ein zweites, sehr wichtiges Standbein von Lie Detectors sind unsere Workshops für Lehrkräfte. Darauf legen wir momentan besonderen Fokus. Lehrkräfte, die wir schulen, können das Wissen direkt in ihre Klassen tragen. Das macht unsere Arbeit nicht nur wirkungsvoll, sondern auch nachhaltig, da wir so eine viel größere Reichweite erzielen.
Ihr Vortrag „Wenn Bilder lügen“ ist Teil des Programms. Warum ist dieses Thema gerade jetzt so relevant?
Julia Kuttner: Bilder und Videos sind in unserer digitalen Welt allgegenwärtig und prägen unser Weltbild sowie unsere Wahrnehmung der Realität in hohem Maße. Menschen neigen dazu, Bildern mehr zu vertrauen als Texten – das wurde durch Studien belegt. Manipulierte Fotos gibt es, seit es die Fotografie gibt, doch die Digitalisierung hat die Verbreitung falscher Bilder drastisch beschleunigt. KI-generierte Bilder und Videos eröffnen wiederum eine völlig neue Dimension der Manipulation. Sie ermöglichen es, Gesichter auszutauschen, ganze Szenen zu erfinden und somit Realität zu verzerren – oft auf eine Weise, die selbst für Fachleute schwer erkennbar ist. Diese Entwicklung birgt erhebliche Gefahren. Das Vertrauen in visuelle Medien, auf das wir uns lange verlassen konnten, wird untergraben und es wird zunehmend schwieriger, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Das kann die Manipulation der öffentlichen Meinung erheblich erleichtern. Ein Teil meiner Arbeit als freiberufliche Journalistin ist es, die Echtheit von Bildern und Videos kritisch zu hinterfragen und die Öffentlichkeit über solche Manipulationen aufzuklären.
Öffentlicher Vortrag der „Lie Detectors“ über Fake-Fotos, Desinformation und Meinungsmache am Dienstag, den 18. Februar 2025 um 19 Uhr im EWE Forum Alte Fleiwa in Oldenburg.
Der Eintritt ist frei.
Wie hat die Entwicklung von KI die Verbreitung von Desinformation konkret verändert?
Julia Kuttner: Die Möglichkeiten, die KI heute bietet, stellen eine völlig neue Dimension dar. Während früher vor allem Texte manipuliert oder Bilder bearbeitet wurden, ermöglicht KI mittlerweile die Erstellung von realistisch wirkenden Bildern, Videos und Audios – sogenannte Deepfakes. Es ist bedeutsam, dass nun auch Videos und Audios gezielt erstellt oder manipuliert werden können. Das erweitert die Ausprägung von Desinformation erheblich, weil sie nicht nur den visuellen Sinn, sondern auch den Gehörsinn anspricht. Dadurch wird unsere Wahrnehmung auf gleich mehreren Ebenen ausgetrickst, was die Manipulation noch wirkungsvoller macht.
Welche Strategien empfehlen Sie, um Fake News und manipulierte Bilder zu erkennen?
Julia Kuttner: Der wichtigste erste Schritt ist Innehalten. Man sollte sich ganz ehrlich fragen: Möchte ich glauben, dass das, was ich sehe oder höre, echt ist? Häufig fallen Menschen auf falsche Inhalte herein, weil diese ihre eigenen Werte, Meinungen oder Moralvorstellungen bestätigen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass wir geneigt sind, Informationen, die unser Weltbild stützen, unkritischer zu hinterfragen. Diese Reflexion ist ein zentraler Schutzmechanismus gegen Desinformation
Daneben gibt es eine Reihe praktischer Methoden, um die Echtheit von Inhalten zu überprüfen. Ein grundlegender Ansatz ist, sich weiter zu informieren, mehr zum Thema zu lesen, und zu schauen, was andere Quellen hierzu sagen. Was berichten seriöse Medien über das Ereignis? Auch der gesunde Menschenverstand ist ein wichtiger Ratgeber: Kann das wirklich so passiert sein? Könnte es sich um Satire handeln? Wer verbreitet die Information? Stammt sie von einem Account, der oft polarisierende oder fragwürdige Inhalte teilt, oder von einer neutralen, vertrauenswürdigen Quelle? Bei KI-generierten Inhalten lohnt es sich, auf Ungereimtheiten im Bild oder Video zu achten, auch wenn die Technik immer besser wird. Zu den typischen Hinweisen gehören immer noch:
- Schatten, die nicht passen.
- Wiederkehrende oder verzerrte Muster, etwa gleiche Gesichter in Menschenmengen.
- Fehler bei Details wie Händen, Ohren, Frisuren oder Proportionen.
- Unstimmigkeiten im Hintergrund oder ungewöhnliche Unschärfen.
Ein weiteres wirksames Werkzeug ist die Rückwärtssuche für Bilder über eine Suchmaschine. Damit lässt sich feststellen, ob das Bild bereits an anderer Stelle im Internet aufgetaucht ist.
Ein Beispiel dafür ist eine oft geteilte, aber gefälschte Bilderstrecke, die Wladimir Putin und Donald Trump beim gemeinsamen Dinner mit Wein zeigt. Solch ein Treffen hätte unweigerlich Schlagzeilen gemacht, doch bei einer Recherche zeigt sich schnell, dass es nie stattgefunden hat. Ähnliches gilt für ein millionenfach geteiltes Video vom Eiffelturm, der komplett in Flammen steht oder das Bild des Papstes in einer Daunenjacke mit Coffee-to-go-Becher. Solche Inhalte können zunächst echt wirken, doch bei genauerem Hinsehen – und durch die Frage, ob etablierte Medien darüber berichtet hätten – wird ihre Fälschung schnell deutlich. Die Entwicklung von KI wird zweifellos immer besser, aber diese Methoden helfen dabei, kritisch zu hinterfragen und sich gegen Desinformation zu wappnen.
Wie reagieren die Teilnehmer und Teilnehmerinnen Ihrer Workshops auf das Thema?
Julia Kuttner: Bei Schülerinnen und Schülern erlebe ich immer wieder, wie begeistert sie sind, dass endlich einmal jemand mit ihnen über die sozialen Netzwerke spricht, in denen sie sich bewegen. Oft hören sie von Erwachsenen nur Kritik, wie „das ist schlecht“ oder „du bist zu viel am Handy“. Aber selten geht jemand darauf ein, wie ihre digitale Welt tatsächlich funktioniert. Es ist für sie etwas Besonderes, wenn man sich gemeinsam mit ihnen auf ihre Ebene begibt und ihre Erfahrungen ernst nimmt. Die Schüler und Schülerinnen sind oft erstaunt, wie einfach man bestimmte Inhalte überprüfen kann – sei es durch eine gezielte Suchanfrage oder die Rückwärtssuche für Bilder. Besonders spannend finden sie es, wenn ich Beispiele aus ihrer Lebenswelt verwende. Politische oder kriegsbezogene Themen vermeide ich meistens. Die Mechanismen von Falschmeldungen lassen sich anhand neutralerer oder positiverer Beispiele genau so gut erklären.
Wie können Lehrkräfte dazu beitragen, das Bewusstsein für Desinformation zu schärfen?
Julia Kuttner: Lehrkräfte können viel bewirken, wenn sie sich für die Lebenswelt ihrer Schüler und Schülerinnen öffnen. Das bedeutet nicht, dass sie selbst jede App wie TikTok nutzen müssen. Aber es kann helfen, sich diese von den Schüler und Schülerinnen erklären zu lassen, um besser zu verstehen, warum sie so faszinierend ist.
Ich kenne zum Beispiel eine Lehrerin, die sich vor Weihnachten bewusst TikTok heruntergeladen hat, um die App jeden Tag für 15 Minuten auszuprobieren. Sie wollte herausfinden, warum ihre Schüler und Schülerinnen so begeistert davon sind. Dabei hat sie schnell bemerkt, wie schnell sie selbst in den Strudel der App geraten ist und wie schwer es war, bei den geplanten 15 Minuten zu bleiben. Diese Erfahrung hat ihr nicht nur gezeigt, wie diese Plattformen funktionieren, sondern auch, warum sie ein gewisses Suchtpotenzial haben. Solche Ansätze, die die Lebensrealität der Schüler und Schülerinneneinbeziehen, können enorm dabei helfen, das Bewusstsein für Desinformation und die Mechanismen dahinter zu stärken.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Kuttner.