Welche Themen beschäftigen die EWE-Kunden 2023 am meisten?
Alain Waltemath: Für viele Verbraucherinnen und Verbraucher sind die gestiegenen Energiepreise nach wie vor belastend, auch wenn wir inzwischen die Preise wieder mehrfach senken konnten. Für manche haben sich die Kosten verdoppelt oder verdreifacht. Das stellt viele vor große Probleme. Und dann sind viele Kundinnen und Kunden darüber verärgert, dass sie ihre Abrechnungen nicht pünktlich erhalten haben. Dadurch wussten sie auch nicht, ob sie ein Guthaben erwarten dürfen oder mit einer Nachzahlung rechnen müssen. Diese Ungewissheit über Wochen und Monate ist sehr belastend. Auf den ersten Blick scheint es verständlich, dass viele Kundinnen und Kunden EWE dafür verantwortlich machen.
Und auf den zweiten Blick?
Alain Waltemath: Die Preise auf den internationalen Energiemärkten bestimmen die Börsenpreise, die seit Beginn des Ukraine-Konflikts in die Höhe geschossen sind und sich erst langsam wieder zurück regulieren. Die Preise für Gas und Strom haben sich 2023 zwar deutlich verringert, sind aber immer noch deutlich höher als vor dem Krieg. 2022 haben wir und alle anderen Energieversorger mit aller Kraft die von der Bundesregierung beschlossenen Steuersenkungen und Dezemberhilfen in die IT-Systeme programmiert. Dafür mussten wir natürlich die Abrechnungen aussetzen. Und in diesem Jahr haben wir die beschlossenen Preisbremsen in die IT-Systeme „verarbeitet“. Auch hierfür mussten wir die Abrechnungen der Kundschaft aussetzen – zum Teil hat das sehr lange gedauert.
Warum mussten Kundinnen und Kunden so lange auf ihre Abrechnungen warten?
Alain Waltemath: EWE musste, wie alle anderen Energieversorger auch, in seinen IT-Systemen Maßnahmen der Bundesregierung abbilden, etwa unterschiedliche Mehrwertsteuersätze oder Entlastungen ab bestimmten Preis- oder Mengengrenzen. Das sind Funktionen, die diese Abrechnungssysteme nicht vorsehen. Es gab von der Bundesregierung verschiedene Hilfsprogramme, um die Verbraucherinnen und Verbraucher finanziell zu entlasten, was sehr gut ist. Etwa die Dezemberhilfe nach dem Erdgas-Wärme-Soforthilfegesetz oder das Osterpaket, um zwei Beispiele zu nennen. Diese finanziellen Entlastungen mussten von allen Versorgern für knapp 41 Millionen private Haushalte und viele Tausend Unternehmen umgesetzt werden. Die Energieversorger mussten in wenigen Monaten wesentliche Teile dieser Systeme komplett umbauen und testen, bevor die Abrechnungen wieder starten konnten. Das hat leider länger gedauert, als die Bundesregierung erwartete.
Manche sagen: Es kann doch nicht so schwer sein, die Systeme anzupassen.
Alain Waltemath: Es ist ja viel mehr als nur die Erweiterung von Funktionen in den IT-Systemen: In der Zwischenzeit müssen Kundenwechsel erfolgen oder Kundinnen und Kunden informiert werden über die neuen Regelungen. Der Aufwand ist enorm. Zwischen Oktober 2022 und Juli 2023 haben unsere Mitarbeitenden rund 6.500 Überstunden gemacht, um die Auswirkungen im Kundenservice aufzufangen. Im selben Zeitraum musste EWE rund 3,9 Millionen zusätzliche Anschreiben an Kundinnen und Kunden schicken, um verschiedene Themen zu erklären, etwa die Rücknahme der Gasbeschaffungsumlage oder außerordentliche Preismaßnahmen. Um den Aufwand in eine finanzielle Dimension zu setzen: Allein für die Bearbeitung zusätzlicher Kundenanfragen sowie schwieriger Kundenanliegen in Folge der Energiekrise hat EWE seit Oktober 2022 mehrere Millionen Euro aufgewendet.
Können Sie die Kritik der Menschen verstehen?
Natürlich – und ich hoffe auf ihr Verständnis. Es ist wichtig zu verstehen, dass EWE alles dafür tut, damit die Anliegen der Kundschaft schnell und richtig bearbeitet werden. Im besagten Zeitraum wurden die Kapazitäten bei Callcenter-Partnern massiv ausgeweitet, damit das Mehraufkommen in der Telefonie und Schriftbearbeitung bewältigt werden kann und unserer Kundschaft eine gute Erreichbarkeit geboten wird. Um Kundinnen und Kunden mit Zahlungsschwierigkeiten zu helfen, hat EWE mittlerweile über 37.000 zinslose Ratenpläne vereinbart. Außerdem haben wir, Kundinnen und Kunden mit einem Guthaben von mindestens 100 Euro, die sechs Wochen oder länger auf ihre Rechnung gewartet haben, eine Entschuldigungszahlung geleistet. Aber ja, wir sehen im Nachhinein, wo wir anders, dringender und früher hätten kommunizieren müssen. Und einige Dinge laufen noch immer nicht so rund, wie wir uns das für unsere Kundinnen und Kunden wünschen.
Noch einmal nachgefragt: Betrifft die Situation nur EWE?
Alain Waltemath: Nein. Die Umsetzung der Beschlüsse der Bundesregierung ist für alle Energieversorger gleichermaßen komplex. Man konnte fast jede Woche die Zeitung aufschlagen und Berichte über mindestens einen Energieversorger mit denselben Problemen finden. Der Bundesverband der Energiewirtschaft sowie der Verband kommunaler Unternehmen haben die Bundesregierung bereits 2022 eindringlich darauf hingewiesen, dass die Umsetzung im energiewirtschaftlichen IT-System der Versorger sehr aufwändig und nicht mal eben so nebenbei umzusetzen ist. Das ist eine Information, die bei vielen Kunden nicht ankommt. Wir haben großes Verständnis für die Situation vieler Menschen, gleichzeitig wünschen wir uns, dass die Kundinnen und Kunden auch Verständnis für uns haben, wenn es darum geht, mit der komplexen Situation umzugehen, die uns jetzt bereits so lange beschäftigt. Wie gesagt, wir investieren große Summen, um die Situation abzufedern. Meine Mitarbeitenden, Führungskräfte und unsere Partner der Callcenter leisten derzeit wirklich Außergewöhnliches, um die Situation für unsere Kunden so erträglich wie möglich zu machen.
Wie wird die Situation im bevorstehenden Winter 2023/2024 sein?
Alain Waltemath: Ich möchte hier für Geduld und Verständnis werben: Wir wissen noch nicht, ob wir erneut einen milden Winter erleben werden oder nicht. Wir wissen noch nicht, wie sich die Energiepreise verändern werden. Wir können noch nicht abschätzen, wie das Thema Preisebremse nun final entschieden wird. Aktuell scheint es so, als würde die Bundesregierung ihre Entscheidungen zur Anhebung der Mehrwertsteuer für Gas sowie dem Endtermin der Preisbremsen sehr kurzfristig treffen und kommunizieren. Dann stehen wir mit allen anderen Energieversorgern wieder vor denselben Herausforderungen wie 2023. Und auch unsere Kundinnen und Kunden müssten vermutlich wieder Verständnis und Geduld aufbringen. Solange uns die Energiekrise aufgrund des Angriffskrieges auf die Ukraine beschäftigt, werden wir uns auf verschiedene Szenarien gut vorbereiten, um unseren Kundinnen und Kunden unter den gegebenen Umständen einen bestmöglichen Service bieten zu können.
Kommen wir noch mal auf die Abrechnungen zurück. Die Verbraucherzentrale Niedersachsen hat EWE jüngst aufgefordert, per Unterlassungserklärung zu versichern, dass Rechnungen ab sofort wieder pünktlich erstellt werden. EWE will dies nicht unterzeichnen. Warum?
Alain Waltemath: Die Verbraucherzentrale Niedersachsen handelt im Interesse und zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher, also unserer Kundschaft. Das ist ihr Auftrag und selbstverständlich gut so. Wir stimmen mit der Verbraucherzentrale völlig überein, dass keinem unserer Kunden aufgrund der verspäteten Jahresabrechnung ein Schaden entstehen soll. Und dafür stehen wir auch gerade. Selbstverständlich sind wir bereit, eine solche Erklärung jederzeit zu unterzeichnen. Den Dialog mit der Verbraucherzentrale haben wir bereits gesucht. Wozu wir uns allerdings nicht bereit erklären können: Strafzahlungen zuzusagen für zukünftige Rahmenbedingungen, die wir heute nicht kennen. Genau das hatte die VBZ in einer Unterlassungserklärung gefordert. Die Bundesregierung möchte bekanntlich die im Herbst 2022 beschlossene und eigentlich noch bis Ende März geltende Senkung der Umsatzsteuer auf Erdgas von 19 auf aktuell sieben Prozent vorzeitig zum Jahreswechsel rückgängig machen. Auch die Verlängerung der staatlichen Energiepreisbremsen kann noch nicht entschieden werden, da hierfür die Freigabe aus Brüssel erforderlich ist. Diese Bremsen enden eigentlich zum Jahreswechsel, sollen laut Bundesregierung aber nun doch bis Ende April gelten. Diese Vorhaben müssen noch durch Bundestag und Bundesrat. Ähnlich wie im Vorjahr ist daher damit zu rechnen, dass die verbindlichen Entscheidungen bestenfalls Ende November fallen und dann sehr kurzfristig durch die Energieversorger bis 1. Januar 2024 in den IT-Systemen umzusetzen sind – die damaligen Effekte auf die Energiebranche sind bekannt. Die Zusage, ab sofort alle Abrechnungen pünktlich zu erstellen, kann vor diesem Hintergrund also schlicht nicht mit der gebotenen Zuverlässigkeit gegeben werden. Hinzu kommt, dass die Erklärung zugleich sehr pauschal und sehr weitreichend formuliert war, die Sparte Wärme umfasste, für die keine rechtliche Vorgabe zur Abrechnungsfrist besteht und Effekte einschloss, die außerhalb unserer Einflusssphäre liegen.
Was unternimmt EWE denn nun konkret, um die Situation für Kundinnen und Kunden zu verbessern?
Waltemath: „Auch wir sind mit den langen Wartezeiten unserer Kundinnen und Kunden nicht zufrieden. Wir wollen, dass unsere Kundinnen und Kunden uns vertrauen und uns als verlässlichen Partner erleben. Hier haben wir mit den verzögerten Abrechnungen eine schlechte und nicht akzeptable Leistung abgeliefert. Wir selbst haben ein Interesse an fristgerechten Abrechnungen, weil wir insgesamt mehr Nachzahlungen von Kundinnen und Kunden ausstehend haben, als wir selbst an Guthaben an Kundinnen und Kunden auszahlen. Es liegt also definitiv nicht am Wollen, sondern in der aktuellen Situation leider am Können. Aus diesem Grund haben wir an Kunden mit einem Guthaben über 100 Euro und einer Wartezeit über sechs Wochen eine aus unserer Sicht adäquate und pragmatische Entschuldigungszahlung geleistet. Denn es ist uns wichtig, dass diejenigen, die Energie gespart und ihre Abschläge angepasst haben, keinen Nachteil haben. Und wir werden selbstverständlich auch noch einmal das Gespräch mit der Verbraucherzentrale suchen.