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    „Die Familien der anderen“: Christine Westermann auf EWE-Lesereise

    Vielen kennen Christine Westermann noch aus ihrer Zeit als Moderatorin von TV-Sendungen wie „Zimmer frei!“ oder „Das literarische Quartett“. Seit vielen Jahren schreibt sie auch Bücher. Im Spätsommer kommt die 75-Jährige mit ihrem neuen Buch „Die Familien der Anderen“ auf EWE-Lesereise in die Region. hallonachbar.de hat sie vorab zum Interview getroffen.

    © Ben Knabe 

    Frau Westermann, Sie schreiben in Ihrem neuen Buch: „Vor dem Publikum aus dem eigenen Buch zu lesen, ist für mich wie eine Belohnung. Jede einzelne Lesung ist wie ein kleines Geschenk.“

    Christine Westermann: Das ist wirklich so. Ich bewundere die Fantasie und die Kreativität, mit der Schriftsteller fiktive Welten erschaffen. Das kann ich nicht. Ich habe es ein paar Mal probiert, aber am Ende lande ich immer wieder bei mir selbst. Ich bin Journalistin und keine Schriftstellerin. Meine Lektorin fragt mich immer wieder, aber ich könnte nichts Fiktionales schreiben.

    Ein weiterer Satz lautet: „Manchmal bin ich verlegen und kündige zu Beginn der Lesung an, ich würde alles signieren: Eintrittskarten, Oberhemden, Unterarme. Dass mit den Unterarmen passiert ab und zu, auf die Oberhemden warte ich noch.“

    Christine Westermann: Nach der Lesung signiere ich Bücher, wie man das so macht, und da gibt es stets interessante Situationen. Viele stehen vor mir und sind unglaublich verlegen, was ich absolut verstehe. Und manche halten mir ihr Buch hin und sagen: Machen Sie mal, Ihnen fällt bestimmt etwas ein! Das Problem ist: Nach eineinhalb Stunden Lesung fällt mir meistens nichts besonders Originelles mehr ein. Meistens male ich ein kleines Herz und schreibe „Herzlichen Gruß“. Das klappt immer.

    Beobachten Sie Unterschiede, wie Sie vom Publikum in verschiedenen Regionen begrüßt werden? Sind die Norddeutschen eher unterkühlt und die Süddeutschen deutlich herzlicher?

    Christine Westermann: Das ist wirklich von Landstrich zu Landstrich unterschiedlich. Meine Erfahrung ist, dass die Menschen in kleinen Städten viel aufgeschlossener und „kulturhungriger“ sind. In Berlin habe ich etwa in einem Theater in Charlottenburg gelesen. Alles gut, war ausverkauft. Aber ich konnte richtig spüren, wie das Publikum dasitzt und denkt: Ok, jetzt soll die Westermann erst einmal was zeigen, bevor wir klatschen. In Köln denken die Leute: Ach, die kenne ich doch. Auf dem Land haben die Zuschauer von Anfang an viel Spaß. Einmal kam eine Frau zu mir und sagte: „Ich war noch nie auf einer Lesung. Jetzt weiß ich, dass ich auch auf eine zweite gehen werde.“ Bei mir entwickelt sich dabei ein Gefühl von großer Zuneigung. Man könnte auch von Dankbarkeit sprechen.

    Gibt es Bücher, mit denen Sie sich grundsätzlich schwertun?

    Christine Westermann: Oft mit denen, die besonders hoch gelobt werden. Ich frage mich: Liegt das an mir? Wenn Freunde mich nach Buchempfehlungen fragen, sage ich: Schaut nicht nur auf die Bestsellerlisten, sondern sprecht mit eurer Buchhändlerin, eurem Buchhändler! Die haben die Erfahrung und die Expertise. Ich wurde von meinem Lieblingsbuchhändler jedenfalls noch nie enttäuscht.

    Früher hätte man gesagt: Ich schaue mir deine Plattensammlung an, dann weiß ich, was für ein Mensch du bist. Wenn Sie zu Freunden und Bekannten nach Hause eingeladen werden, geht ihr erster Blick auch ins Buchregal, um ein bisschen in die Seele des Gastgebers schauen zu können?

    Christine Westermann: Nie. Nur wenn ich zufällig davorstehe. In meinem Podcast „Zwei Seiten“ mit Mona Ameziane hat neulich ein Hörer gefragt: „Könntet ihr mit einer Person befreundet sein, die nicht liest?“ Ich habe argumentativ völlig herumgeeiert, weil ich insgeheim dachte: Leute, die nicht lesen, das geht gar nicht! Doch dann dachte ich an die Leute in meinem Bekanntenkreis, die tollen Hobbys nachgehen, etwa Karate, Yoga oder Weltreisen. Das sind nicht meine primären Interessen, haben aber für die Personen einen sehr hohen Stellenwert. Also nein, ich möchte Menschen daher nicht danach beurteilen, ob oder was sie lesen.

    Sie beschreiben, wie Sie zuletzt Thomas Manns „Der Zauberberg“ begegnet sind. Das gleicht eher harter Arbeit als einem „Lesevergnügen“. Würden Sie sagen: Man muss beim Lesen auch hin und wieder mal raus aus der Komfortzone, um belohnt zu werden?

    Christine Westermann: Das glaube ich schon. Sybille Berg hat mal sinngemäß gesagt: Wenn es sich am Ende gelohnt hat, war es die Mühe wert. Wenn ich auf meinen Schreibtisch schaue, dann liegen da etwa 40 Neuerscheinungen, von denen ich monatlich fünf empfehle. Lesen ist für mich daher auch Arbeit. Eine Person, die aber 23 Euro für ein neues Buch ausgibt, sollte sich vorab ziemlich sicher sein, dass sie es auch zu Ende lesen wird. Die möchte sich nicht quälen. Ich sage den Leuten immer: Nehmt euch Zeit im Buchladen. Setzt euch hin und lest das erste Kapitel, bevor ihr ein Buch kauft. Orientiert euch nicht nur an den Bestsellerlisten.

    Gibt es neben dem „Zauberberg“ weitere Bücher, bei denen Sie sagen: Puh, das war anstrengend? Zum Beispiel „Unglaublicher Spaß“ von David Foster Wallace?

    Christine Westermann: Habe ich reingelesen. Das war nichts für mich. Mit Herman Hesse bin ich auch noch nicht warm geworden. Bin ich nicht mit klargekommen. „Der Gesang der Flusskrebse“ ist in meinen Augen überbewertet, auch Haruki Murakami ist nicht so mein Fall. Aber vielleicht kommt da ja noch was …

    Wie sollte man damit umgehen, wenn man Klassiker der Weltliteratur nicht genießen, geschweige denn lesen kann? Also Bücher, die „jeder gelesen haben sollte“. Oder wenn einem die Bücher auf der aktuellen Spiegel-Bestsellerliste nicht zusagen?

    Christine Westermann: Menschen, die sagen: „Ich habe keine Lust zu lesen“, haben bislang einfach die falschen Bücher gelesen. Wie ich bereits sagte: Buchhändler sind für mich wie Leuchttürme oder Navigatoren, die einem im Meer der Neuerscheinungen die Richtung vorgeben können. Ich habe auch kaum Klassiker der Weltliteratur gelesen, sondern mich vor allem danach gerichtet, was mir gefällt. Man sollte sich ehrlich eingestehen, wenn man mit bestimmter Literatur nichts anfangen kann. Viele Literaturkritiker haben ein Literatur- oder Germanistikstudium als Hintergrund, die gehen ganz anders an Bücher heran. Das heißt, die lesen Bücher auch anders als die meisten anderen Menschen.

    Sie zitieren in Ihrem Buch Friedrich Dürrenmatt: „Die Literatur muss so leicht werden, dass sie auf der Waage der heutigen Literaturkritik nichts mehr wiegt.“ Das müssen Sie bitte erklären.

    Christine Westermann: Leichte Literatur im Sinne von Unterhaltung wird im deutschen Feuilleton nicht anerkannt. Es wird grundsätzlich in zwei Kategorien unterschieden: Ein Buch ist literarisch oder unterhaltend. Schwere Kost, leichte Kost. Da bin ich ein bisschen neidisch auf die amerikanische Literaturszene. Wenn ein Werk den Pulitzer-Preis gewinnt, dann weiß ich, dass es sowohl anspruchsvoll, aber auch sehr gute Unterhaltung ist. Ich finde, man sollte die Aussagen der Literaturkritik in Deutschland nicht überbewerten, sondern primär die Menschen überhaupt für das Lesen begeistern. Am liebsten für Bücher, in denen sie Parallelen zu den Themen ihres eigenen Lebens finden. Oder wie beim Film im Kino oder bei Netflix, einfach in eine andere Welt eintauchen.

    Viele Menschen kennen Sie vor allem aus Ihrer Zeit vor der Kamera. Mit Götz Alsmann haben Sie 20 Jahre lang im WDR die legendäre Talkshow „Zimmer frei!“ moderiert. Was haben Sie für Erinnerungen?

    Christine Westermann: Es war eine außergewöhnliche und intensive Sendung. Viele Gäste sind sehr gerne zu uns gekommen, auch wenn manchen angst und bange war. Etwa Bjarne Mädel oder Harald Juhnke, die beide vorher unglaublich aufgeregt waren. Während der einstündigen Sendezeit haben manche mehr von sich preisgegeben, als sie das ursprünglich geplant hatten.

    Sie waren auch vier Jahre lang Mitglied in der TV-Sendung „Das literarische Quartett“. Ein uraltes, aber immer noch einzigartiges Format, das es für keine andere Kunstform gibt. Sie deuten das in Ihrem Buch ein bisschen an – inwieweit war die Sendung auch ein Wettbewerb, eine Kraftanstrengung oder gar eine Last?

    Christine Westermann: Es war für mich kein Wettbewerb, aber zuallererst eine Herausforderung. Wie eine Mount-Everest-Besteigung ohne Sauerstoffgerät. Habe ich sie gemeistert? Das weiß ich nicht. Trotzdem war es für mich wichtig, dass ich dabei war. Ich lese Bücher seitdem ein bisschen anders und bemühe mich mehr, etwas zu verstehen. Im „Quartett“ habe ich gelernt, dass man ein Buch ab Seite 60 nicht mehr aus der Hand legen sollte, auch wenn es einem eigentlich nicht gefällt, sondern dass man sich durcharbeiten kann. Zudem habe ich gelernt, andere Sichtweisen besser zu verstehen. Ich bin aber oft an dem Druck gescheitert, den ich mir selbst gemacht habe. Mir hat jemand erzählt, dass sie in der Sendung jetzt an einem Tisch sitzen und Bücher besprechen. Das hatte ich mir immer gewünscht! Auch mal auf den Tisch hauen und lebhaft diskutieren – und nicht auf diesen vermaledeiten Sesseln dozieren.

    Christine Westermann auf EWE-Lesereise
    • 25.09.2024, 19.30 Uhr: Cuxhaven, EWE-Forum
    • 26.09. 2024, 19.30 Uhr: Cloppenburg, Kulturbahnhof
    • 27.09. 2024, 19.30 Uhr: Papenburg, Kleines Theater
    • 28.09. 2024, 19.30 Uhr: Oldenburg, Alte Fleiwa

    Tickets für die Veranstaltungen gibt es auf www.ewe.de/veranstaltungen

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