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    Wie gut ist die Ökobilanz von Elektroautos?

    Geringer CO2-Ausstoß? Schön und gut, aber wie sieht es mit dem Recycling von alten Akkus aus Elektroautos aus? Und ist die Produktion nicht alles andere als nachhaltig? hallonachbar.de im Gespräch mit Christof Kerkhoff vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI).

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    Christof Kerkhoff Der Verkehrsexperte
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    Christof Kerkhoff arbeitet beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Er ist Geschäftsführer der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik in Düsseldorf.

    Herr Kerkhoff, Deutschland ist eine Autonation. Laut Branchendienst Statista gibt es hierzulande 43,3 Millionen Pkw in privater Nutzung (Stand: 1.1.2024). Würden Sie sagen, die Straßen sind zu voll?

    Christof Kerkhoff: Als Autofahrer und -Liebhaber würde ich sagen: ein klares Jein. Wir haben einen sehr hohen Pkw-Anteil in Deutschland dieser steigt trotz aller Bemühungen seit Jahren an, was auch an der Infrastruktur im ÖPNV-Bereich liegt, die nicht ideal ist, vor allem im ländlichen Raum. Hier ist die Tendenz zum Zweit- oder Drittwagen viel größer als in den Städten. Zudem sind wir aufgrund unserer Historie eine Autofahrernation, viele der größten Hersteller weltweit sind hier beheimatet. In den Innenstädten haben wir aber deutlich zu viele Pkw und dann auch noch die Falschen.

    Einfach erklärt: Wie wird die Ökobilanz für ein Auto ermittelt?

    Christof Kerkhoff: Wir untersuchen zwei Phasen: 1. Der Zyklus der Erstellung des Fahrzeugs. Dabei werden die Einzelkomponenten berücksichtigt, aus denen das Auto zusammengebaut wird, mit deren entsprechenden Vorketten. Das gleiche gilt auch für den Treibstoff, der während des Betriebs verbrannt wird. Auch hier werden die jeweiligen Vorketten zur Raffinierung oder zum Transport berücksichtigt. Bei den elektrifizierten Fahrzeugen untersuchen wir zudem die Erstellung des verwendeten Stroms. 2. Der Betrieb des Fahrzeugs über einen Zeitraum von 200.000 Kilometern und einer Dauer von etwa 15 Jahren – über den Daumen gerechnet sind wir bei etwa 13.000 Kilometer Fahrleistung pro Jahr.

    Wie sieht es mit dem Thema „Recycling“ aus?

    Christof Kerkhoff: Wir fordern, dass der Bereich in Zukunft noch stärker berücksichtigt werden muss. Es gibt in Sachen Batterien noch zu wenige Erfahrungswerte und keine großen industriellen Anlagen, die sich um den Recyclingprozess kümmern. Es gibt trotzdem verschiedene Verfahren, um Akkus wiederzuverwerten, allerdings im kleinen Maßstab. Das Problem ist, dass es noch gar nicht so viele recyclingbedürftige Akkus gibt, weil die Haltbarkeit doch länger ist, als man noch vor einiger Zeit angenommen hat. Erst wenn ein Akku unter 80 Prozent seiner Leistungsfähigkeit geht, wird es langsam schwierig, weil die Reichweite dann spürbar beeinträchtigt wird. Bei den meisten Autos, die aktuell auf dem Markt sind, verfügen die Akkus auch nach vielen Jahren noch über mehr als 90 Prozent. Dementsprechend sind die Fahrzeuge alle noch unterwegs. In den Recyclingzyklus gehen aktuell vor allem Autos, die einen Unfall hatten. Es gibt noch einen zweiten Weg der Wiederverwertung, etwa als Stromspeicher für die private Photovoltaikanlage.

    Das heißt, wie lange hält eine Batterie etwa im Fahrbetrieb?

    Christof Kerkhoff: Die meisten Hersteller geben als Garantie eine Mindestdauer von acht Jahren an. Es hängt aber vom eigenen Fahrprofil ab: Wenn ich als Vielfahrer jährlich 50.000 Kilometer abspule, wird die Batterie dementsprechend stärker beeinträchtigt. In unserer aktuellen Studie schreiben wir sogar, dass man bei kalkulierten 200.000 Kilometern nach 15 Jahren gar keinen Akkuwechsel benötigt. Wenn ich vorher einen Wechsel vornehme, ist die Ökobilanz allerdings kaputt: Der größte Faktor bei der kompletten CO2-Emission eines Fahrzeugs, genauer gesagt mehr als die Hälfte, entsteht bei der Produktion der Batterie.

    Angenommen, man lädt das Elektroauto ausschließlich mit Solarstrom aus der eigenen PV-Anlage. Wie wirkt sich das auf die Ökobilanz aus?

    Christof Kerkhoff: Das ist ein optimaler Fall. Bei unseren Berechnungen gehen wir von einem normalen Strommix aus, der aktuell in den Netzen vorhanden ist und den erwähnten 200.000 Kilometern Laufleistung bei einem kleinen Akku im Fahrzeug. Hier sprechen wie von einem Akku mit einer Kapazität von 62 Kilowattstunden und einem CO2-Ausstoß von 24 Tonnen auf die 200.000 Kilometern inklusive der Produktion. Ein Elektroauto, das ausschließlich mit Ökostrom fährt, liegt bei 19 Tonnen inklusive der Produktion. Das ist ein erheblicher Unterschied.

    Ab wann ist ein Elektroauto dann „CO2-neutral“?

    Christof Kerkhoff: Beim vorhandenen Strommix in deutschen Netzen nach etwa 90.000 Kilometern. Wenn man das E-Auto ausschließlich mit Ökostrom lädt, etwa nach 65.000 Kilometern. Das ist der besagte Unterschied von fünf Tonnen CO2. Man muss dazu fairerweise sagen, dass es in den Monaten April bis September einfach ist, mit den Überschussmengen aus der eigenen PV-Anlage das Auto zu laden. Zur kälteren Jahreszeit wird dies extrem schwierig und man ist auf den Zukauf von Ökostrom aus den Netzen angewiesen.

    Halten Sie die Vorurteile gegenüber Elektromobilität für gerechtfertigt?

    Christof Kerkhoff: Die oft erwähnte Reichweitenangst ist vielleicht ein typisch deutsches Thema. Man kennt es aus dem Alltag: Sobald der Smartphone-Akku nur noch 20 Prozent Kapazität anzeigt, werden die meisten Menschen ebenfalls schnell nervös. Man sollte grundsätzlich überlegen, ob ein Elektroauto zum eigenen Fahrprofil und den eigenen Gewohnheiten passt. Das Wort „Laderomantik“, das gerne für Entschleunigung und bewusstes Fahren gebraucht wird, halte ich für unpassend. Vor allem für diejenigen, die mit der Familie Urlaub machen und zwei nörgelnde Kinder auf dem Rücksitz haben. Hinzu kommt, dass Elektrofahrzeuge nicht günstig sind. Sie sind kein Thema für Alleinerziehende mit drei Kindern, die 2.000 Euro monatlich verdienen. Damit ist Elektromobilität aktuell nicht finanzierbar.

    Dabei schwärmen doch E-Autofahrerinnen und -fahrer, dass Unterhalt und Reparaturen so günstig sind.

    Christof Kerkhoff: Stimmt, es gibt einen geringeren Wartungsaufwand, aber da muss man den Neupreis des Fahrzeugs entgegenstellen. Das aktuell günstigste Modell auf dem Neuwagenmarkt ist der Dacia Spring für knapp 17.000 Euro. Das ist definitiv kein Familienauto und hat nur eine Reichweite nur 120 bis 150 Kilometern. Damit komme ich von Düsseldorf nach Köln – an kalten Tagen wird es schwierig, auch wieder zurückzukommen ohne zu Laden. Als E-Autofahrer muss man lernen, sich darauf einzulassen.

    Der VDI hat 2021 die Studie „Ökobilanz von PKWs mit verschiedenen Antriebsystemen“ veröffentlicht. Das Fazit lautete: „Der Fokus muss auf einen Technologiemix mit Brennstoffzellen, Elektroautos und Verbrennungsmotoren gelegt werden: Dies ist die einzige Chance, die CO2-Ziele für 2030 zu erreichen. Eine Fokussierung auf eine Antriebsart ist falsch.“ Das klingt nach einem Kompromiss für die deutsche Automobilindustrie, die noch an Verbrennermodellen festhält. 

    Christof Kerkhoff: In unserer aktuellen Studie von Ende 2023 lautet unser Fazit: Das E-Auto ist das Mittel der Wahl. Sie haben aber eingangs die 43 Millionen Autos angesprochen. Davon sind 1,4 Millionen elektrisch unterwegs, Hybride sind da bereits miteingerechnet. Das ist noch eine große Differenz, bis der Bestand erneuert ist. Wir müssen daher offen für weitere grüne Wege sein. Die Politik hat die Weichen gestellt, da ist alles auf Elektromobilität gestellt. Wichtig ist aber, dass wir für alle Alternativen ausreichend grünen Strom produzieren.

    Welchen Tipp haben Sie Autofahrerinnen und Autofahrer, die auf ein Elektroauto umsteigen wollen und ein „besonders ökologisches Fahrzeug“ suchen?

    Christof Kerkhoff: Man sollte sich vorab fragen: Was ist mein standardmäßiges Fahrprofil? Man braucht kein großes Elektroauto, weil man einmal im Jahr damit eine große Reise mit der Familie machen möchte. Wenn es möglich ist, sollte man sich für ein kleineres Fahrzeug entscheiden, weil die CO2-Emissionen in der Produktion deutlich geringer sind. Auch die Schnellladefähigkeit sollte bei einem gewünschten Modell gegeben sein. Mein Fazit: Lieber ein kleines Auto mit hoher Schnellladefähigkeit wählen, das spart Zeit, gerade wenn mein keine eigene Lademöglichkeit an der Wohnung hat sowie CO2-Emissionen in der Produktion.

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