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    „Wir müssen die Energiewende zur Erfolgsgeschichte für alle machen“

    Kaum ein politisches Thema wurde in den vergangenen Monaten so stark für die Polarisierung und Profilierung genutzt wie die Energiepolitik. Während der Umbau zu einer klimaneutralen Energieversorgung weiter voranschreitet, ächzen Industrie und Haushalte unter hohen Preisen, der Fachkräftemangel wächst, und vielerorts fehlt es an Planbarkeit. Im Zentrum steht die Frage: Wie gelingt die Energiewende so, dass sie bezahlbar bleibt, Versorgungssicherheit gewährleistet und die Klimaziele erfüllt werden? Stefan Dohler, Vorstandsvorsitzender der EWE AG, gibt im Interview klare Antworten – und benennt, was die neue Bundesregierung ab sofort dringend angehen muss.

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    Herr Dohler, wo steht Deutschland aktuell aus Ihrer Sicht bei der Energiewende?

     Dohler: Wir stehen mitten in der vielleicht anspruchsvollsten Phase der Energiewende. Das Ziel ist gesetzt – Klimaneutralität bis 2045 mit dem Verzicht auf Kohle, Öl und Gas und dem massiven Ausbau der Erneuerbaren. Doch der Übergang in die konkrete Umsetzung verläuft nicht konfliktfrei: Der Bau der Infrastruktur kommt vielerorts nicht schnell genug voran, und viele Menschen erleben die Transformation weniger als Chance, sondern eher als Zumutung oder Eingriff in ihre Lebenswirklichkeit.

    Diese Wahrnehmung hat verschiedene Gründe. Zum einen verändern sich bekannte Strukturen – etwa durch neue Heizsysteme, veränderte Mobilitätsangebote oder steigende Anforderungen an Gebäude. Zum anderen wird die Debatte zunehmend durch polarisierende Botschaften und gezielte Desinformation begleitet – etwa zu angeblich explodierenden Kosten bei der Anschaffung einer Wärmepumpe, drohenden Blackouts oder dem Rückbau von Windparks auf dem Meer. Solche Fehlinformationen verunsichern – und erschweren eine sachliche Auseinandersetzung.

    Klar ist: Die Energiewende ist kein Selbstläufer. Sie muss politisch klug gesteuert und gesellschaftlich breit mitgetragen werden. Es geht dabei nicht um eine temporäre Mode oder um Ideologie, sondern um langfristige Handlungsfähigkeit. Es geht nicht nur darum, das Klima zu schützen, sondern um den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das Klima reagiert – unabhängig davon, ob wir darüber diskutieren. Deshalb ist es jetzt umso wichtiger, faktenbasiert, ausgewogen und entschlossen zu handeln.

    Was läuft aus Ihrer Sicht bereits gut?

    Dohler: Es gibt starke Fortschritte beim Ausbau der erneuerbaren Energien, gerade bei Photovoltaik und Windenergie. Die Industrie zeigt Innovationskraft, und auch der Wille zu Investitionen ist da. Wir sehen auch erste regionale Erfolgsgeschichten, zum Beispiel im Bereich grüner Wasserstoff. Doch die Umsetzung wird durch Bürokratie, unklare Zuständigkeiten und fehlende Koordination zwischen Bund, Ländern und Kommunen ausgebremst. Hier muss die Politik dringend nachsteuern.

    Stefan Dohler, Vorstandsvorsitzender der EWE AG

    Die Energiewende kann nur gelingen, wenn sie für alle bezahlbar bleibt. Stefan Dohler, Vorstandsvorsitzender der EWE AG

    Ein Dauerbrenner ist die Frage der Bezahlbarkeit. Was fordern Sie? 

    Dohler: Die Energiewende kann nur gelingen, wenn sie für alle bezahlbar bleibt. Das betrifft sowohl Haushalte als auch Kommunen und Unternehmen. Die aktuellen Strompreise enthalten zu viele Belastungen – von Steuern über Umlagen bis zu Netzentgelten. Was wir brauchen, ist ein systemischer Ansatz zur Senkung der Stromkosten, nicht bloß das Drehen an einzelnen Stellschrauben. Eine einseitige Absenkung der Stromsteuer hilft nicht allen gleichermaßen – zum Beispiel nicht Unternehmen, die ohnehin davon ausgenommen sind.
    Die Strompreisreform muss intelligent und sozial ausgewogen sein. Nur so bleibt die Transformation, der Umbau des gesamten Energiesystems, gesellschaftlich akzeptiert. Wir bei EWE sehen es als unsere Aufgabe, hier mit sinnvollen Vorschlägen in die politische Debatte zu gehen – und das tun wir auch.

    Welche Rolle spielt die Versorgungssicherheit in diesem Gefüge?

    Dohler: Sie ist das Rückgrat der Energiewende. Ohne eine sichere Versorgung verlieren wir Vertrauen – und ohne Vertrauen verlieren wir Zustimmung. Unsere Konzerntochter EWE NETZ gehört bereits zu den ausfallsichersten Stromnetzbetreibern. Und das soll auch in Zukunft so bleiben. Um die Sicherheit der Versorgung in ganz Deutschland zu gewährleisten, müssen wir Versorgungssicherheit heute neu denken: in einer Welt mit einer zunehmenden Elektrifizierung, volatiler Einspeisung, dezentraler Erzeugung und hoher elektrischer Last. Das heißt: Speicher ausbauen, Netze verstärken, steuerbare Kraftwerke – etwa flexible Gaskraftwerke – schaffen. Und vor allem: Privatwirtschaftliche Investitionen in diese Infrastruktur müssen sich lohnen.

    Aktuell gibt es keine ausreichenden Anreize für solche Investitionen. Deshalb fordern wir ein neues Marktdesign, das Versorgungssicherheit gewährleistet – zum Beispiel über einen wettbewerblichen Kapazitätsmarkt: ein marktgestütztes Modell, bei dem Stromerzeugungskapazitäten vergütet werden, die im Fall von Knappheit kurzfristig einspringen können. Der Markt muss mit der Transformation Schritt halten. Tut er das nicht, riskieren wir Engpässe.

    Welche Position bezieht EWE beim Thema Wasserstoff?

    Dohler: Wasserstoff ist für uns ein zentraler Hebel, um Industrieprozesse klimaneutral zu machen und Versorgungssicherheit zu schaffen. Denn gerade in der Industrie kann man nicht alle Prozesse verstromen. Dafür investieren wir in Elektrolyseure, die erneuerbaren Strom in Wasserstoff umwandeln, der wiederum in der Industrie zum Einsatz kommen kann. Und wir bauen Speicher und Pipelines und denken dabei nicht nur regional, sondern im europäischen Kontext. Aber: Die regulatorischen Rahmenbedingungen sind noch immer nicht geeignet, um einen wirtschaftlichen Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette – also von der Erzeugung über die Speicherung und den Transport bis zur Anwendung – zu ermöglichen.

    Beim unserem Jahresempfang in Brüssel vor einigen Wochen haben wir der Politik deutlich gemacht, dass die aktuelle europäische Regulierung ein eklatantes Hemmnis für die Wettbewerbsfähigkeit Europas ist. Strombezugskriterien, Netzentgelte, Förderregeln – all das gehört auf den Prüfstand. Sonst bauen andere Regionen – etwa Nordamerika – diesen Markt auf, während wir uns hier in Europa selbst blockieren.

    Was erwarten Sie konkret von der neuen Bundesregierung?

    Dohler: Wir brauchen weiterhin ein klares politisches Bekenntnis zur Energiewende – und die neue Bundesregierung hat dieses im Koalitionsvertrag auch formuliert. Der Ausbau der erneuerbaren Energien, die Modernisierung der Netze und der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft sind zentrale Bausteine einer zukunftsfähigen Energiepolitik. Positiv ist auch, dass Maßnahmen zur Senkung der Strompreise vorgesehen sind – etwa durch die Reduzierung der Stromsteuer, die Deckelung der Netzentgelte oder einen subventionierten Industriestrompreis. Zudem sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt und Investitionen über ein Sondervermögen finanziert werden. Allerdings bleibt bei vielen Punkten die konkrete Umsetzung noch offen. Es reicht nicht, nur die Klimaneutralität bis 2045 zu bekräftigen. Entscheidend wird sein, ob diese Vorhaben jetzt auch mit Tempo und Verlässlichkeit auf den Weg gebracht werden.

    Ein Thema, das selten öffentlich diskutiert wird, ist der Fachkräftemangel. Wie groß ist das Problem?

    Dohler: Enorm. Ohne qualifiziertes Personal werden wir diese Transformation nicht stemmen. Der Mangel an Elektrikern, Installateuren und Netzwarten gefährdet schon heute Projekte. Deshalb ist es so wichtig, dass Ausbildungs- und Personalkosten nicht als verzichtbarer Kostenfaktor angesehen werden.

    Gemeinsam mit ver.di und unserem Betriebsrat haben wir ein Positionspapier veröffentlicht, das klar macht: Gute Ausbildung, Tarifbindung und Mitbestimmung sind keine Belastung – sie sind die Grundlage einer gelingenden Transformation. Wer diese Strukturen schwächt, gefährdet die Energiezukunft.

    Und auf europäischer Ebene – welche Entwicklungen sind aus Ihrer Sicht entscheidend?

    Dohler: Europa hat viele kluge Initiativen auf den Weg gebracht – etwa den Clean Industrial Deal oder die Roadmap zum Ausstieg aus russischen Energieimporten. Aber wir sehen auch, dass sich Bürokratie und Überregulierung oft als Wachstumshemmnis erweisen. Deshalb begrüßen wir die angekündigten Omnibus-Vereinfachungspakete der EU, die darauf abzielen, Berichtspflichten zu straffen, Genehmigungsprozesse zu beschleunigen und den bürokratischen Aufwand – besonders im Bereich Nachhaltigkeit – spürbar zu senken. Entscheidend wird sein, ob daraus wirklich praxistaugliche Vereinfachungen entstehen.

    Wenn wir in Europa fairen Wettbewerb organisieren wollen, brauchen wir gemeinsame Standards – aber auch Spielräume für regionale Lösungen. Die Energiewende ist keine Schablone. Sie muss vor Ort funktionieren, Versorgung sichern und bezahlbar bleiben.

    Abschließend: Was stimmt Sie trotz der Herausforderungen optimistisch?

    Dohler: Die Menschen. Ich sehe jeden Tag Kolleginnen und Kollegen, die mit Überzeugung und Fachwissen an der Energiezukunft arbeiten. Ich sehe Privathaushalte, die ihre persönliche Energiewende vorantreiben. Ich sehe Unternehmen, die mutig investieren. Und ich sehe Kommunen, die vorangehen. Wenn wir das politisch unterstützen – mit klaren Regeln, fairen Preisen und einem offenen Ohr für regionale Realitäten – dann kann Deutschland in der Energiewende weltweit Maßstäbe setzen.

    Vielen Dank für das Gespräch.

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