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    "Ruhrpott von morgen":  EWE-Vorstand Stefan Dohler im Interview

    Alles auf Grün: Deutschland hat es sich zum Ziel gemacht, bis 2045 klimaneutral zu sein. Der
    Ausbau der erneuerbaren Energien ist bereits in vollem Gange. Das gilt für private Haushalte,
    von denen viele neue Wegen bei der Strom- und Wärmeversorgung gehen und auf
    Photovoltaik-Anlagen, Wärmepumpen und Wallboxen setzen. Aber das gilt selbstverständlich
    auch für Energieunternehmen, die neue Solar- und Windkraftparks errichten und ihre
    Gaskraftwerke perspektivisch auf grünes Gas umrüsten. Stefan Dohler, EWE-
    Vorstandsvorsitzender, spricht im Interview mit hallonachbar.de über die Zukunft der
    klimaneutralen Energieversorgung.

    © Vanessa Branchi

    Herr Dohler, welches sind die großen Herausforderungen für eine gesicherte und klimafreundliche Energieversorgung in der Zukunft?

    Wir stehen am Beginn einer Ära der Transformation hin zu grünen Technologien. Die Herausforderung wird sein, die Investitionen in die Energiezukunft zu weiten Teilen aus eigener wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit der Energieunternehmen und ihrer Partner heraus zu finanzieren und wettbewerbsfähig zu sein. Das ist natürlich auch das Ziel von EWE. Auf diesem Weg wollen wir die Menschen mitnehmen und sie mit unseren Dienstleistungen versorgen. Gemeinsam können wir den Nordwesten zum „Ruhrpott von morgen“ machen – aber eben in sauber. Über den Nordwesten hinaus könnte dann die grüne Energie transportiert werden und viele andere Regionen versorgen.

    Welches sind denn aktuell die größten Baustellen, um das zu gewährleisten?

    Das große Ziel der Bundesregierung ist es, bis 2038 raus aus der Kohleenergie zu kommen, am liebsten schon bis 2030. Um das kompensieren zu können, brauchen wir eine dreifache Ausbaugeschwindigkeit bei den erneuerbaren Energien und zusätzliche Gaskraftwerke, die perspektivisch grünes Gas nutzen müssen. Die Unabhängigkeit von russischem Gas haben wir weitgehend umgesetzt, auch wenn es hier noch weiterer Anstrengungen bedarf. Jetzt geht es darum, den Wärmesektor klimaneutral zu gestalten. Das ist keine leichte Aufgabe. Einerseits sprechen wir hier über den massiven Ausbau von strombetriebenen Wärmepumpen im Privatkunden- und Gewerbebereich, andererseits von der Nutzung grünen Wasserstoffs in der Industrie. Mit dem Energieträger Wasserstoff haben wir die Möglichkeit, die natürlich schwankende Stromproduktion aus Wind und Sonne quasi in Wasserstoff umzuwandeln, ihn damit über lange Strecken transportierbar und in sehr großen Mengen speicherbar zu machen und beispielsweise in Stahlunternehmen zu nutzen. Die Leitungen für den Transport gibt es bereits, denn Erdgasleitungen sind in der Regel „H2 ready“, also für den Transport von Wasserstoff geeignet. Mit der Zukunftsleitung und der Anbindung an LNG-Terminals bauen wir aktuell Pipelines, die eine neue Infrastruktur für den Gasimport garantieren. Wir sprechen hier zunächst von flüssigem Erdgas und perspektivisch auch von Wasserstoff.

    „Elektrifizierung, Digitalisierung, Dezentralisierung und Dekarbonisierung“: Was verbirgt sich hinter diesen strategischen Schlagwörtern?

    Unter Elektrifizierung verstehen wir einen deutlichen Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, höhere Investitionen in die Strominfrastruktur z.B. für Ladeinfrastruktur in der Elektromobilität und perspektivisch auch sinkende Investitionen in die Gasinfrastruktur. Digitalisierung beschreibt den immer höheren Bedarf an Datenbandbreite, den Menschen und Unternehmen im Alltag haben, deshalb müssen wir unsere Glasfasernetze weiter ausbauen und modernisieren. Mit Dezentralisierung beschreiben wir etwa die autarken Energienutzer, zum Beispiel die sogenannten Prosumer, die mit ihrer PV-Anlage Solarstrom für den Eigenverbrauch produzieren, aber auch ins Netz einspeisen. Dezentralisierung beschreibt aber auch die Wärmeversorgung von Wohnquartieren mit Erneuerbaren Energie, wie Erdwärme, und die intelligente Steuerung der millionenfachen Flexibilitäten von Heimspeichern, E-Autos, Einspeisern und Wärmepumpen. Und bei Dekarbonisierung sprechen wir von der eigenen Klimaneutralität bis 2035 und dem Aufbau der norddeutschen Wasserstoffindustrie. Das sind die großen Ziele
    von EWE.

    In welchen Bereichen kommt Wasserstoff ins Spiel?

    Es gibt Sektoren, die nur durch Elektrifizierung, also ohne Wasserstoff, nicht klimaneutral werden können. Zum Beispiel die Stahl- oder Chemieindustrie oder auch Teile des Mobilitätssektors, etwa der Schwerverkehr, ÖPNV und auch maritime Mobilität oder Flugverkehr. Wir testen gerade in Rüdersdorf bei Berlin eine unterirdische Kaverne für die Speicherung von Wasserstoff. Ziel ist es, die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt auf große Kavernenspeicher anzuwenden von denen allein EWE 37 betreibt. Damit würden die fluktuierenden Erneuerbaren Energien in Form von Wasserstoff speicherbar.

    Wie kann EWE diese ambitionierten Ziele allein schaffen?

    Ein Investitionspotenzial von 14 Milliarden Euro, wie wir es für EWE sehen, können wir nur im Schulterschluss mit anderen Unternehmen, Wissenschaft und Politik stemmen. Dazu bedarf es also vieler unterschiedlicher Partnerschaften und Förderungen. Wir reden hier aber nicht von Zufall, sondern von wichtigen strategischen Entscheidungen, die wir umsetzen. Eine der wichtigsten Partnerschaften für das Ziel der klimaneutralen Energieversorgung ist Alterric – ein von EWE und der Aloys Wobben Stiftung gegründetes Gemeinschaftsunternehmen. Als einer der größten Grünstromerzeuger Europas will das Joint Venture bis Ende des Jahrzehnts 3,6 Milliarden Euro in zusätzliche Windkraftanlagen an Land investieren. Damit soll die bisher installierte Leistung mehr als verdoppelt werden. Wir kooperieren im Glasfaserausbau mit den Kommunen und für den Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft sind wir auf enge Kooperation mit Industrie, Wissenschaft und Politik angewiesen.

    Das klingt ambitioniert und gleichzeitig vielversprechend. Allerdings befürchten viele Menschen, dass sie sich die Energieversorgung der Zukunft nicht leisten können.

    Das Ziel der Klimaneutralität ist nicht nur Menschen vorbehalten, die im Einfamilienhaus wohnen und mit ihrer Photovoltaikanlage den Strom für den täglichen Gebrauch produzieren und Wärmepumpe oder Wallbox für das E-Auto damit betreiben. Es geht um die grundsätzliche Bereitschaft und die Erkenntnis, dass eine klimaneutrale Zukunft für alle Menschen erstrebenswert ist. Jeder kann daran teilhaben, egal auf welche Weise. Es fängt bereits mit kleinen Dingen an, etwa Energiesparen im Alltag. Mir ist wichtig, dass die Menschen dafür ein Bewusstsein entwickeln und wissen, dass es um ganz viele Puzzlesteine geht, kleine wie große. Und wir von EWE wollen unsere Kunden auf dem Weg in diese Zukunft mit unserer Expertise und unseren Produkten begleiten und sie unterstützen. Ich bin davon überzeugt, dass dieses zukünftige System sichere, nachhaltige und bezahlbare Energie bereitstellen kann.

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